Montag, 30. November 2009

I Love This City Tonight

Das Leben in Seoul hört auf anstrengend zu sein und fängt an Spaß zu machen. Klar gibt es noch so einige T.I.K. Momente, aber ich entdecke immer mehr spannende Orte in der Stadt. Mittlerweile fühlt sich Vieles vertraut an; der Nachhauseweg, meine Nasszelle, das Kimbap-Kaufen, die blinkenden Lichter, die großen Straßen. Ich kenne mich ein wenig aus und weiß wo es mir gefällt. Die Koreaner und ihr Verhalten sind mir nicht mehr so fremd. Das ist sehr schön für mich, bedeutet aber auch, dass ich nicht mehr so viel zu Schreiben habe. Aber da sich einige von euch ohnehin über zu viel Text beklagt haben, wird das wohl nicht so schlimm sein. Die Highlights der letzten Tage:

Mendelssohn-Bartoldy Klavierabend im Goethe-Institut mit Jung Sun In. Sie hat sogar mein geliebtes Rondo gespielt. Schockierend allerdings: Außer mir höchstens zwei andere Deutsche da, aber Unmengen Koreaner. Wissen die Deutschen ihre Kultur nicht mehr zu schätzen?

Poetry Slam und Open Mic im „Hive“ in Itaewon. Erster richtiger Rotwein in Korea. Erster GLÜHWEIN in Korea. Erstes Mal, dass mir ein Akkordeon wirklich gefallen hat. (Paper Planes von M.I.A. auf dem Akkordeon? Wie geil ist das bitte?!?) Danach haben eine Kanadierin und ich mit einigen Amis in einer Folk Kneipe im Viereck getanzt und später hat mir ein Soldat Folk- und Swingtänze beigebracht. Schließlich haben wir (vier Deutsche, zwei Amerikaner, eine Kanadierin und drei Koreaner) (mal wieder auf Socken) eine Tanzfläche im Stockwerk drüber gerockt und dazu über YouTube unsere eigene Musik gespielt. Meine Auswahl fand Anklang, bis ich „Männer des Westens“ angemacht habe, was offensichtlich niemand kannte. Ich war erneut schockiert!

Nachmittag in Hongdae. Erst Free Market, auf dem man von Gemälden über Schmuck bis zu Kleidung alle möglichen selbst gemachten Dinge kaufen kann. Wurde von Studenten interviewt, was meine Gefühle seien, wenn ich die Kunst anschauen würde. Habe zugegeben nicht wirklich etwas zu fühlen. Wurde trotzdem als „so cute“ bezeichnet und umarmt. Dann mit Sun Ju getroffen, die ich auf einer Konferenz kennen gelernt habe. Sie hatte ihren spanischen Freund dabei und einen koreanischen Freund, der eineinhalb Jahre in Berlin gewohnt hat. Wir waren in einem allerliebsten Café in Hongdae. Das ist nicht nur originell eingerichtet und die Musik und Sandwiches sind großartig, nein, man kann dort auch noch tolle Kleidung und Accessoires kaufen! Ich bin in love. Sun Ju und ihr Freund haben sich auf Französisch unterhalten, der Koreaner und ich auf Deutsch und wir alle zusammen auf Englisch. Später waren wir noch Wein trinken und Käse essen. Es war großartig.

World Cup Stadion und Bae Bien-U. Okay, das Stadion war ein Reinfall, es hat geregnet, wir haben nichts von dem Park gesehen und das Museum war ein typisch koreanisches Sammelsurium aus merkwürdigen Ausstellungsstücken und seltsamen Videoinstellationen. Aber die großformatigen Fotografien des Seouler Kunstprofessors Bae Bien-U, die in einem Museum ausgestellt waren, dessen Namen ich gerade partout nicht raus finden kann (irgendwie heißen die hier alle „Seoul Museum of Art“), haben mir sehr sehr gut gefallen. Schaut sie euch mal an.

Seoul International Computer Music Festival. Also, ich verstehe Computermusik offensichtlich nicht. So wie 12-Ton-Musik oder andere moderne Scherze ohne Melodie und/ oder mit äußerst wirren Strukturen. Aber ab und zu kann so etwas sehr interessant und inspirierend sein. Eine Epilepsie-Warnung vor der Vorführung wäre vielleicht angebracht gewesen, es kam der Vorschlag auf, doch unter den Zuhörern Aspirin gegen die Kopfschmerzen zu verteilen und das Ganze glich mehr einer Nahtoderfahrung (Video), als einem Konzert. Aber wo sonst kann man schon mal eine Frau mit einer Kreditkarte eine Gitarre malträtieren und Geräusche wie Fingernägel auf einer Tafel erzeugen sehen? Genau. Und unterdrückte Lachkrämpfe sind immer noch die besten!

Die Fotos. Hier.

Mittwoch, 25. November 2009

Judith fragt sich – Koreaner antworten

Da ich ja nun nicht nur zum Spaß hier bin, sondern auch um ein paar „interkulturelle Kompetenzen“ zu erwerben, stelle ich mir regelmäßig Fragen zu Verhalten, Psyche und Gepflogenheiten der Koreaner. Diese Fragen gebe ich dann meistens an meine koreanischen Kollegen weiter. Anhand einiger Fragen merkt man, wie unsicher man plötzlich wird, wenn völlig unvorbereitet in eine fremde Kultur eintaucht. „Ist das eigentlich okay, was ich gerade mache oder fühlen die sich vielleicht davon beleidigt?“ oder „Warum benehmen die sich so?!“ Ich hasse es das zu sagen, aber ja, man wird tatsächlich toleranter. Wie mich die Asiatenzusammenrottungen oder die Japaner in Düsseldorf aufgeregt haben! Inzwischen kann ich sie in einigen Punkten verstehen. Schließlich hänge ich hier ja auch fast nur mit Deutschen rum. Es ist einfach leichter. Man versteht sich. Man weiß, was man machen kann und was nicht, man weiß, welche Sprüche ankommen (na ja, meistens) und man spricht die gleiche Sprache (!). Natürlich ist es spannend und wichtig raus zu finden wie die anderen ticken, aber dafür braucht man Zeit. Wenn man am Anfang vielleicht etwas eingeschüchtert ist (und die Asiaten sind ja tendenziell schon etwas schüchterner als wir), dann ist das nur verständlich. Und wenn man sich nicht in allen Aspekten an das Gastland anpassen will, dann verstehe ich das – ich will ja auch nicht plötzlich aufhören deutsch zu sein und finde nach wie vor manche Dinge unserer Kultur einfach besser. Doch es ist auch ungeheuer interessant zu sehen, was hinter manchen „Eigenarten“ der anderen steckt und es fühlt sich gut an, wenn man plötzlich miteinander warm wird und merkt, dass man gar nicht so unterschiedlich ist.

Nun aber zu meinen Fragen.

Warum tragen Koreaner keine Sonnenbrillen?
Hyunwoo meint, dass hier einfach öfter die Sonne scheint, da sind sie abgehärtet. Und haben ohnehin dunklere Augen. Ich denke, dass sie hier einfach nicht so cool sind.

Rauchen koreanische Frauen?
Ja. Manche. Früher war das verpönt, heute ist es vielen Mädels egal. Aber auch nicht allen: Die meisten würden niemals vor ihren Eltern oder Älteren rauchen. Und meine Hasook-Mami will meinem Hasook-Typen wohl auch nicht sagen, dass sie sich ab und zu gerne eine ansteckt.

Wie sieht das koreanische Schönheitsideal aus?
Big boobs, slim, nice ass and legs, sagt Hyunwoo. Ersteres ist aber nicht wirklich so wichtig, denn Dekoltee zeigen die koreanischen Frauen ohnehin nie, das gilt als schlampig. Mit sehr kurzen Röcken haben sie dagegen kein Problem. It’s like homecoming! Mehr zum Thema Korea und Schönheit demnächst. Es ist schockierend.

Wie stehen die Koreaner zu den Japanern?
Die finden sie ziemlich scheiße. Auch wenn die Kolonialisierung jetzt schon etwas länger her ist – vor allem bei den Älteren sitzt die Abneigung noch tief. Und dann ist da noch dieser ständige Streit um Dokdo.

Lernen die eigentlich Englisch in der Schule?
Ja und zwar alle. Das merkt man ihnen manchmal (oft) nicht an, weil sie im Unterricht zwar viel auswendig lernen müssen, aber nur selten sprechen. Wirklich schade, um die viele vergeudete Zeit und Energie!

Was halten Koreaner von fremdem Essen?
An und für sich sind sie ja recht aufgeschlossen. Aber gerade koreanische Männer scheinen da doch traditionsbewusster zu sein, als sie zugeben wollen. Und auch wenn es hier tausend Kaffeeketten und anderen westlichen Schnickschnack gibt – gute Pasta sucht man vergeblich und mein Kollegen zieht es in der Mittagspause doch eher in die koreanischen Lokalitäten.

Meinen die wirklich, dass sie sich mit Mundschutz vor der Schweinegrippe/ anderen tödlichen Viren schützen können?
Nee. Also einige bestimmt schon, aber ein Großteil trägt den Mundschutz wohl, wenn er selber krank ist, um die anderen nicht anzustecken. Sehr sozial! Ich bin allerdings lieber ein bisschen erkältet, als überall diese Koreaner zu sehen, die aussehen, als wollten sie gleich eine Bank überfallen!

„Das waren spontan sieben kleine Fragen von ungefähr 6000.“

Hier ist einer, der noch viel mehr Fragen gestellt bekommt und beantwortet. Für alle, die sich tiefergehend mit Koreanern auseinander setzen möchten.

PS: Fragen, die ich mich bisher nicht getraut habe zu stellen: Was zur Hölle soll das ständige Nasehochziehen? Wie wär’s mit einem Taschentuch? Muss Schmatzen wirklich sein? Wäre es nicht nett „Entschuldigung“ zu sagen, wenn man jemanden umrennt? Was ist so schwer daran auf mein freundliches Aneyonghaseooo (Hallo) zu reagieren, wenn man mich im Hasook trifft? Warum gucken die alten Männer immer so mürrisch und die jungen so schüchtern/sexy/melancholisch/abgefuckt? Muss die Musik immer so kitschig und melodramatisch sein? Und was steckt eigentlich wirklich hinter dieser Kimchi-Hysterie?

Dubiose Vorgänge im Hasook

Die Hasook-Mami wohnt im ersten Stock, ich im zweiten. Da kam es mir schon recht komisch vor, als sie mir aus meine Badezimmertür entgegen kam. Und dann roch es auch noch verdächtig nach Rauch im Bad! OBWOHL da sehr große "No Smoking"-Schilder hängen. Also wirklich, Hasook-Mami! Na ja, T.I.K.!

Mittwoch, 18. November 2009

82% der DDR-Aussiedler nach einem halben Jahr in der BRD in den Wehen

Da hätte ich heute doch fast diesen Satz in meine Präsentation über DDR-Aussiedler eingebaut: “82% of migrants that came to West Germany in 1989 were in labour six months later.” Hihi.

Off Topic Korea: Bildungsstreik – Was würde ich tun?

Ich habe mich über die Handzettel zum Studiengebührenboykott lustig gemacht. Ich finde die gnadenlos übertriebenen Formulierungen und Forderungen der Juso-Hochschulgruppe lächerlich. Ich habe die Studenten ausgelacht, die mit Kochlöffeln auf Bratpfannen geschlagen und vor der Uni: „Das ist unser Haus! Das ist unser Haus!“ skandiert haben. Diese Formen von Protest und Aktionismus sind nicht meins.

Doch wenn ich gestern in Köln gewesen wäre, wäre ich wohl mitgegangen. Denn im stillen Kämmerlein eine schöne, differenzierte Meinung und Sicht auf die Dinge zu haben, bringt leider niemanden weiter. Nur zu protestieren, durch die Stadt zu laufen, sich ein paar pseudo-witzige Aktionen auszudenken (die Bildung zu Grabe tragen und so) und die Uni zu besetzen, führt sicherlich auch nicht zu besserer Bildungspolitik, aber es sorgt zumindest für Aufmerksamkeit. Bis ich meine Pläne für mehr politisches Engagement in die Tat umsetze, möchte ich zumindest schon mal zeigen, dass ich mit der Richtung, in die die Bildung in Deutschland geht, nicht einverstanden bin. Heißt ja nicht gleich, dass ich „Gegen die Ausrichtung der Bildung nach kapitalistischer Verwertungslogik" oder Ähnliches auf mein Plakat schreiben muss.

Was passt mir denn nicht? Ein Hauptthema ist natürlich der Bachelor. Dazu habe ich mir im Januar schon mal Gedanken gemacht:

„Vielleicht sollte man sich zunächst einmal fragen wozu das Studium eigentlich da ist? Um uns perfekt auf das Arbeitsleben vorzubereiten, uns das nötige Wissen zu vermitteln und unsere Leistungsfähigkeit zu verbessern? Sicherlich. Und das sollte möglichst effizient geschehen. Aber bedeutet das, dass man um jeden Preis die Studienzeiten verkürzen und den Leistungsdruck erhöhen muss? Sicherlich nicht. Denn meiner Ansicht nach hat das Studium auch noch einen anderen wichtigen Zweck: Die Persönlichkeit zu formen, den Horizont zu erweitern und wichtige Erfahrungen zu sammeln. Wann haben wir je wieder die Zeit dafür Dinge auszuprobieren?

Ich lebe in einer Stadt mit einem großen kulturellen Angebot. Warum gehe ich nicht öfter ins Museum, besuche Konzerte oder das Theater? Ich weiß es nicht. Aber ich arbeite daran, das zu ändern. Und das sollte ich auch. Nicht umsonst haben sich jahrhundertelang große Köpfe große Gedanken gemacht und große Werke geschaffen, die schließlich so große Berühmtheit erlangt haben. Nur wenn wir uns immer wieder neue Denkanstöße holen, können wir sicherstellen, dass wir flexibel und kreativ bleiben. Es ist von großem Nutzen, wenn ich lerne die Welt wirtschaftlich zu betrachten, aber ich sollte in der Lage bleiben alles, was ich lerne auch mal zu hinterfragen. Denn so kann ich Fehler erkennen und vermeiden und Innovationen ermöglichen. Auch später im Job.

Was also soll es bringen, wenn die Studenten in drei Jahren Bachelorstudium die Fakten um die Ohren gehauen bekommen, an die Schreibtische gezwungen werden und so nicht die Möglichkeit haben mal links und rechts zu schauen? Natürlich sollten deutsche Studenten konkurrenzfähig sein und was im Ausland geht müsste doch auch bei uns möglich sein. Aber mit Mitarbeitern, die lediglich gewohnt sind zu arbeiten wie die Blöden und dann abzurufen, was man ihnen beigebracht hat, ist nun auch keinem Unternehmen geholfen, wenn sie nicht in der Lage sind ihren eigenen Kopf einzuschalten, auf vorhergegangene Erfahrungen zurückzugreifen und mit flexiblen Lösungsideen aufzuwarten. Ich bin froh, dass unsere Gesellschaft auf anderen Werten basiert, als beispielsweise die chinesische Gesellschaft und hoffe, dass diese Werte auch in der Wirtschaft weiterhin eine Rolle spielen werden.“

Und natürlich geht es auch um die Finanzierung des Studiums. Meine Eltern können mich finanziell soweit unterstützen, dass es für mich reicht 30 bis 40 Stunden im Monat zu arbeiten, um gut zu leben. Ich bin auch gerne bereit für meine Bildung zu zahlen. Andere Kinder haben nicht das Glück. Diesen sollte durch Stipendien ebenfalls ein Studium ermöglicht werden. Darum sollte die Politik sich kümmern und nicht beschließen Stipendien lediglich für besonders gute Schüler einzurichten, denn die sind oftmals finanziell ohnehin schon besser gestellt. (Die Forderung, die finanziell schwächeren Leute sollten halt einen Kredit aufnehmen, halte ich aus dem Mund von Leuten, die nicht in der gleichen Situation sind, übrigens für unangebracht und höhnisch. Ich täte mich damit auch schwer.)

Schließlich sind da noch die Studienbedingungen. An der Wiso-Fakultät in Köln sind die für Diplomer eigentlich ganz in Ordnung. Die Vorlesungen im Grundstudium waren zwar anfangs oft etwas zu voll, aber immerhin haben wir genügend Prüfungstermine und wer Prüfungen ablegen will oder muss, kann das auch. Das ist an anderen Fakultäten nicht der Fall. Wenn trotz Studiengebühren nicht genügend Seminarplätze da sind und die Organisation katastrophal unübersichtlich ist, dann würde mich das auch fuchsig machen und auf die Straße treiben.

Ich bin gespannt wie es weiter geht. Bisher Zustimmung von Seiten der Politik und den Hochschulen zu den Protesten. Natürlich irgendwie unglaubwürdig. Nein, ich denke nicht, dass sich da wirklich etwas bewegen wird. Ich weiß auch noch nicht, was ich tun kann, um etwas zu ändern. Aber ich werde versuchen, diese Ohnmacht nicht in Apathie resultieren zu lassen. (Unter dem Titel „Wie man Studenten apathisch macht“ hier ein guter Artikel der Zeit.)

Was Witziges am Rande: Neulich stieß ich im StudiVZ auf eine Gruppe, in der dazu aufgerufen wurde, sich als BWLer und Juristen zu verkleiden, über den Campus zu laufen und „Bildung nur für Reiche – Armut find ich scheiße“ zu rufen. Und in einem Artikel habe ich auch heute gelesen, dass sich Studenten in irgendeiner Stadt in Schale geschmissen haben, um auf ähnlich pseudo satirische Weise gegen Studiengebühren zu protestieren. Und dann gestern dieser (arrogante) Aufruf auf Facebook: „Flashmob Idee für BWLer und Juristen: Mit großen Polo-Pferdchen-Schildern zum Bildungsstreik. Dazu Zigarren und Whiskey. Wer ist dabei?“

Wie soll man da noch wissen, wer Freund und wer Feind ist?

Dienstag, 17. November 2009

Man muss nur wissen, in welchen Keller man rein gehen muss

Letzten Samstag war ich mit Hyunwoo, ihren koreanischen Freunden, sowie Ina und Michael in einer tollen Kellerbar. Hyunwoo meinte: "It's really easy." und das trifft es. Sehr gemütlich eingerichtet mit vielen Plattenregalen und bequemen Stühlen, angenehmer Musik und außerdem einem Klavier und Gitarren, auf denen die Gäste spielen können. Das haben Hyunwoo und ihre Freunde wunderschön getan (Video) und ich auch ich habe mich für zwei Songs ans Klavier gewagt. Yeah, bald bin ich ein Rockstar!

Letztens hat sich im Bus zum ersten Mal jemand neben mich gesetzt

OBWOHL noch andere Plätze frei waren. Und heute ist das schon wieder passiert. Wochenlang war sowas undenkbar. Was ist da los?

Off Topic Korea: Wie kann man denken ohne Bücher?*

Ich bin schon immer ein absoluter Bücherwurm gewesen. In meiner Kindheit hatte das schon fast asoziale Züge - meine Mutter musste mich zwingen raus zu gehen, um mit den anderen Kindern zu spielen, statt alle Bände von Hanni und Nanni, den drei Fragezeichen und Co, sowie sämtliche Enid Blyton Bücher und den Rest der Kinder- und Jugendbuchabteilung der Lanker Bücherei zu verschlingen. Ich war nicht wählerisch, ich war einfach nur schnell und hungrig. Mit der Zeit wurde die Literatur anspruchsvoller (na ja, mal mehr mal weniger) und ich hatte nicht mehr ganz so viel Zeit (die Versuche meiner Mutter mich zu sozialisieren waren einigermaßen erfolgreich), aber das Prinzip blieb für mich dasselbe: Lesen ist Lebenselixier.

Warum erzähle ich das? Ich habe heute auf der Onlineseite der Zeit einen Artikel gelesen, der davon berichtet, dass in Deutschland immer weniger gelesen wird, dass in der heutigen Gesellschaft Lesen ohne (Fakten)Informationsgewinn als Zeitverschwendung angesehen wird, dass viele Schüler und Studenten nicht mehr in der Lage sind schwierigere Texte intellektuell zu erfassen, und sogar Bücher für Schüler so vereinfacht werden, damit sie sie verstehen können (darunter nicht nur Shakespeare und Kleist, sondern auch Astrid Lindgren!). Es wird von einem BWL-Prof erzählt, der seine Studenten wissenschaftlich-philosophische Texte lesen und dann miteinander vergleichen lässt; unter anderem damit die Studenten lernen mit den Widersprüchen darin umzugehen und damit, dass sie nicht alles verstehen. Schließlich werden sie auch im Berufslesen einiges zu lesen bekommen, dass widersprüchlich und wenig verständlich ist. Ich finde die Idee großartig und wünsche mir, dass das mal ein Kölner Prof machen würde. Ein wenig mehr Textverständnis und weniger Fokus lediglich auf Zahlen und Modelle, würde dem ein oder anderen sicherlich gut tun.

Mal abgesehen von all den nicht direkt jobtechnisch verwertbaren Vorteilen, die das Lesen mit sich bringt und es so unfassbar faszinierend machen, auf die ich gleich kommen möchte, fördert regelmäßiges und verständiges Lesen einige Fähigkeiten, die das Arbeiten deutlich vereinfachen. Wer viel liest, lernt Informationen schnell und richtig zu erfassen, zu analysieren und zu verwerten. Wer dabei auch mal auf unterschiedliche Quellen zugreift merkt, wie leicht man sich von der Meinung eines Autors oder eines Journalisten vereinnahmen lässt. Wer viel liest, kann sich außerdem auch selber besser ausdrücken, strukturierter und präziser schreiben und somit viel Zeit sparen. Und beim Geschäftspartner wirkt es sicherlich auch professioneller, wenn es in der E-Mail nicht vor Rechtschreib- und Satzbaufehlern wimmelt. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass wer Abitur gemacht (und studiert hat), klare und fehlerfreie Sätze produzieren und Textinhalte richtig wieder geben kann, aber leider ist das nicht immer der Fall. Ich meine, dass ein bisschen Lesen da Wunder wirken würde.

Natürlich geht es mir beim Lesen um viel mehr als darum, ein paar wichtige Kernkompetenzen zu erlernen. Lesen ist für mich nicht reiner Informationsgewinn, sondern eröffnet neue Welten und bietet Denkimpulse. Es lässt mich manchmal die Geschichte besser verstehen und manchmal fühle ich mich auch selber besser verstanden – nicht mehr alleine mit meinen Gedanken, denn die hatte offensichtlich vor vielen Jahren schon mal jemand und das beruhigt mich. Nur durch das Lesen der Klassiker, kann ich auch die vielen versteckten Anspielungen in der neuen Literatur verstehen, erkennen, wie die Linien weiter verlaufen. Ich kann mich über einen guten Schreibstil so sehr freuen, wie über einen ästhetisch gedrehten Film. (Und die männlichen Hauptdarsteller sehen in meinem Kopf IMMER hervorragend aus.)

Aber was sollen all die Worte? Kann man die Menschen nicht einteilen in zwei Gruppen: Die, die lesen und die, die es halt nicht tun? In die, die sagen: „Warum sollte ich das Buch lesen? Ich kann doch auch gleich den Film gucken?“ Und die, denen fast schwindelig wird vor innerlichem Protest, wenn sie diesen gruseligen Satz hören? Kann man Menschen vom Lesen überzeugen? Kann aus einem Literaturverweigerer eine Leseratte werden? Ich weiß nicht. Aber ich werde es weiter versuchen zu missionieren.

Im Zeitartikel gibt es auch ein paar Tipps zum schnell Lesen. Dann geht wenigstens nicht so viel Zeit verloren.

* George Bernarnd Shaw, Literaturnobelpreisträger (was soll der auch anderes fragen?). Na klar kann man denken ohne Bücher. Aber Büchern können das Denken einfach ungemein bereichern.

Montag, 16. November 2009

Tokio Calling

03. bis 08. Dezember. Ich freu mich! Flüge sind gebucht. Unterkunft noch fraglich, wir hoffen auf Couch Surfing. Ansonsten ... ist doch klar, Tokio Hotel. Haha.

Wiedervereinigungsoverkill

Gut, dass ich hier irgendwie mit dem Thema Wiedervereinigung in Kontakt kommen würde, war ja von vorneherein klar. Aber in den letzten Tagen war es – anlässlich des 20jährigen Mauerfalls – dann doch ein bisschen viel Berlin, DDR und Wiedervereinigung.

Mittwoch sind wir zu viert mit dem Büro nach Jeonju gefahren, um dort an einer Konferenz teilzunehmen und die Posterausstellung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu den Themen „Wir sind ein Volk“ und „Grenzenlos“ zu eröffnen, für die Designstudenten Plakate entworfen haben. Die Ausstellung zieht mit der Hanns-Seidel-Stiftung durch die Lande und Universitäten. In China gut trainiert, habe ich für euch mal ein paar Fotos von den Postern gemacht. Bei der Eröffnung waren erst alle sehr konfus und keiner hatte einen Plan was jetzt wohin soll und wer verantwortlich ist, aber schließlich wurde doch noch alles – typisch koreanisch – ganz offiziell; ein riesiges Blumenbouquet und das Banner waren am rechten Platz, einige wichtige Leute bekamen Ansteckblumen, jeder bekam die Gelegenheit ein paar bedeutsame Worte ins Mikrophon zu sagen und schließlich reihte sich die ganze Meute unter dem Banner auf und es wurde ein Gruppenfoto gemacht. Später haben wir dann ein paar Baikalenten beobachtet (die HSS Korea steht irgendwie aufs Vögelbeobachten) und mein Chef hat noch den Vortrag zu „Green Growth in Germany“, den ich vorbereitet hatte, gehalten. Und wieder in Seoul angekommen, sind wir bis drei Uhr nachts durch die Kneipen in Itaewon gezogen.

Donnerstag stand ein Treffen mit PSCORE (People for Successful Coean Reunification) auf dem Programm, das ist eine NGO, die sich um das gegenseitige Verständnis der Koreas bemüht. Das Ganze stand unter dem Thema „20 Jahre Mauerfall“ und es wurde darüber diskutiert, was die Parallelen und Unterschiede zwischen Deutschland und Korea sind und wie Korea aus den deutschen Fehlern lernen kann. Anwesend waren auch einige Nordkoreaflüchtlinge, aber leider stand eine Sprachbarriere zwischen uns. Dafür gab es mal wieder ein Banner.

Freitagabend war ich im Goethe-Institut bei der Lesung „Berlin, Hauptstadt der DDR – Ein Proletarier erzählt“ mit Andreas Gläser. Das war sehr nett und vor allem das anschließende Buffett vom Hilton und der Wein haben uns sehr zugesagt, so dass wir bis zum bitteren Ende dort herumlungerten. (Das ist eher eine deutsche Angewohnheit. Die Koreaner lungern offensichtlich nicht so gerne herum, die machen was und gehen dann. Nicht so gemütlich.)

Und als wäre das alles nicht genug, recherchiere ich momentan auch noch was zu DDR-Flüchtlingen. Ich war zwei Jahre alt, als die Mauer fiel. Angeblich bin ich an dem Tag trocken geworden, aber das war es auch schon an prägenden Erinnerungen an den Tag. Natürlich wusste ich, dass Deutschland mal geteilt war, aber so richtig angefangen zu realisieren, habe ich das erst, als ich dieses Jahr eine Woche lang in Berlin war. Da stand ich auf dem Potsdamer Platz und mir dämmerte zum ersten Mal, was das eigentlich für eine wahnsinnige Idee war, Deutschland einfach mittendrin zu teilen. Und jetzt erfahre ich hier permanent neue Dinge über die Teilung. Tatsachen, die mich schockieren, wie Repressalien gegen Regierungskritiker, unmenschliche Haftbedingungen, wahnwitzige Fluchtversuche. Was muss sich eigentlich eine Regierung denken, wenn sie ihre Leute nur durch eine Mauer davon abhalten kann, das Land zu verlassen? Und dabei ging es den Ostdeutschen ja noch verhältnismäßig gut, verglichen mit den Nordkoreanern. Die Deutschen konnten Kontakt zu ihren Verwandten haben, sie konnten Westfernsehen empfangen, die Westdeutschen konnten sie besuchen. Nordkorea ist vollkommen isoliert. Ein einziger Irrsinn.